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Tod am Glas

20. Juni 2024
Der Tod durch den Zusammenstoss mit Fensterscheiben und Glaswänden ist heute eine der grössten Gefahren für Vögel – Tendenz steigend.

Trotzdem unternehmen wir Menschen zu wenig zum Schutz der Vögel.

Unter dem Prime Tower in Zürich ziehen einige Stadtfüchse jede Nacht ihre Runden. Das moderne Hochhaus mit der verspiegelten Glasfassade liefert ihnen Nahrung, die ihnen buchstäblich vor die Nase fällt, denn mit dem hohen Gebäude kollidieren regelmässig Vögel. Die Füchse müssen die Opfer nur noch aufsammeln.

In der Schweiz dürften gemäss Schätzungen von Fachleuten jährlich fünf bis zehn Millionen Vögel in Glasscheiben prallen; rund die Hälfte von ihnen stirbt. Eine Hochrechnung aus Deutschland ergab, dass die Zahl der gefiederten Todesopfer in Deutschland jährlich bei 100 bis 115 Millionen liegt. Dies entspricht rund fünf Prozent aller im Land vorkommenden Vögel.


GLAS IST DOPPELT GEFÄHRLICH

Weshalb fliegen Vögel so oft in Glas? Sie sind doch mehrheitlich geschickte und reaktionsschnelle Flieger! Die Antwort ist einfach: Vögel sind nicht in der Lage, Glas zu erkennen. Einerseits ist klares Glas bekanntlich durchsichtig. Der Vogel sieht zum Beispiel den Baum, in den er fliegen will, aber das Glas davor sieht er nicht. Anderseits reflektiert Glas die Umgebung. Pflanzen und der Himmel spiegeln sich darin und täuschen einen Lebensraum vor. Das Paradoxe dabei ist: Je attraktiver ein Lebensraum für Vögel wirkt, desto grösser ist die Kollisionsgefahr. Die Kollisionsrate an transparenten Lärmschutzwänden ist beispielsweise viermal höher, wenn die Wand mit Gehölzen begrünt ist, als wenn dies nicht der Fall ist.


GROSSES AUSMASS, WENIG BEACHTUNG

Die vielen Tragödien spielen sich zwar in unserer unmittelbaren Umgebung ab, bleiben von uns aber weitgehend unbeachtet. Sind wir gleichgültig geworden? Eher nicht. Die meisten von uns freuen sich über die gefiederten Nachbarn und schätzen sie als Vertilger lästiger Plagegeister wie Mücken oder Fliegen. Ein Mauersegler-Brutpaar schafft bei guten Bedingungen an einem Tag 50 Gramm Futter für die Jungen herbei. Dies entspricht mehr als 20'000 Insekten und Spinnentieren.

Gleichgültig sind wir nicht, aber wir bemerken die Opfer viel zu selten. Grössere Vögel hinterlassen bei einer Kollision zwar einen sichtbaren Abdruck an der Glasscheibe. Bei kleineren Vögel ist hingegen oft nichts zu sehen. Die toten Vögel bleiben nie lange liegen. Füchse, Ratten, Marder, Elstern oder Krähen räumen sie meist schnell weg, bevor wir sie entdecken.

Es besteht also dringender Handlungsbedarf, zumal die Glasflächen im Siedlungsraum stetig zunehmen. Zum Glück gibt es zahlreiche Möglichkeiten, das Kollisionsrisiko für Vögel zu verringern. Nutzen wir sie!

 

 

 

Lärmschutzwand
Lärmschutzwände am Bahnhof Effretikon: Die milchigen Längsstreifen machen die Glasscheiben für Vögel sichtbar. Links unten spiegelt sich das Haus im Rücken der Betrachterin.
Foto: Barbara Leuthold Hasler

 

Glasscheibe
Erkennen Sie die Glasscheibe? Sie befindet sich an einer Bushaltestelle. Wohl nur, weil Sie wissen, dass eine da ist. Ein Vogel erkennt sie nicht. Auch das Anbringen von Vogelsilhouetten nützt wenig.
Foto: Barbara Leuthold Hasler

 

Abdruck Fenster
Der Abdruck des Körpers, der Flügel und der Federn einer Taube in Puderstaub auf einem Fenster nach einer Kollision.
Foto: AdobeStock
 
toter Vogel
5 bis 10 Millionen Vögel sterben pro Jahr in der Schweiz infolge einer Kollision mit Glasscheiben.
Foto: AdobeStock

 

ZUR ARTIKELSERIE 2024

Die Stadt Illnau-Effretikon und die Gemeinde Lindau haben im Frühling 2022 eine Kampagne gestartet, um die Bevölkerung über den Nutzen und die Schönheit von Biodiversität im Siedlungsraum zu informieren. Monatlich erscheint im «Regio» ein Artikel zum Thema.

 

ZUR AUTORIN

Barbara Leuthold Hasler arbeitet als selbstständige Biologin und Bergführerin. Mit der Natur vor ihrer Haustür befasst sie sich seit Jahren – nicht nur beruflich, sondern auch als Hobby, zum Beispiel im eigenen Garten und in ehrenamtlichen Arbeitseinsätzen in Naturschutzgebieten.

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