«KUNSTRASEN, KUNSTRASEN!»
Ein spezieller Empfang erwartete die beinahe vollzählig eintreffenden Parlamentarierinnen und Parlamentarier als sie sich zu ihrer letzten Sitzung in diesem Jahr im Effretiker Stadthaussaal eintrafen. Rund 120 Fussballerinnen und Fussballer standen auf dem Märtplatz vor dem Eingang Spalier und skandierten ihrer Volksvertretung «Kunstrasen, Kunstrasen!» entgegen. Der FC-Effretikon wollte damit manifestieren, was der Stadtrat zuvor beim Stadtparlament beantragt hatte: Die Erweiterung der Fussballfeld-Kapazitäten im Sportzentrum Effretikon durch Erstellung eines neuen Kunstrasen-Feldes. Die bisherige Infrastruktur reicht zur Bewältigung der Nachfrage nicht mehr aus. Zahlreiche Kinder plangen auf der Warteliste, bis sie endlich in den Verein eintreten dürfen, derweil dort mangels Platz-Ressourcen Trainings nicht durchgeführt werden können. 300 Trainingseinheiten entfallen deswegen jeweils.
Wir fühlen uns also ins Jahr 2012 zurückversetzt, als ein ähnlicher Volksaufmarsch die Durchsetzung des damaligen Projektes zur Sanierung bzw. Sportzentrum des Sportzentrums beflügeln wollte – auch damals inbegriffen: Ein Teilprojekt zur Schaffung des heute noch bestehenden, ersten Kunstrasenfeldes.
GELBE KARTE: «WIR SIND EIGENTLICH DAFÜR…» - EINFACH NOCH NICHT JETZT.
Im Vorfeld der Sitzung vermochte das Geschäft jetzt aber nicht uniosono Begeisterung in den Fraktionen hüben und drüben auszulösen; auch bei der Rechnungsprüfungskommission nicht. Sie konnte dem stadträtlichen Antrag – immerhin Fr. 1.7 Mio. stark an Ausgaben – nicht viel Positives abgewinnen. «Und zwar nicht etwa, weil wir die Arbeit des FC nicht wertschätzen, sondern weil der Stadtrat einfach keine gute Arbeit ablieferte», so Arie Bruinink, Grüne, der dem Stadtrat die gelbe Karte entgegenwies.
«Es fehlte uns an wichtigen Grundlageninformationen, Vergleichen, Hintergrunddaten und Alternativen. Von uns gestellte Fragen wurden nicht oder nur sehr unbefriedigend beantwortet», so der Kommissionsreferent. Ins selbe Horn bliess sein Kommissionkollege Dominik Mühlebach, SP. «Die SP ist nicht gegen die Erweiterung der Kapazitäten. Der FC leistet Grossartiges – nicht nur im Sport, sondern vor allem auch in der Integrationsförderung. Und ich muss es ja wissen, trainierte ich doch selbst während über 10 Jahre im FC Effretikon. Wir können heute nicht entscheiden, weil uns dafür schlichtweg genügend gut aufbereitete Grundlagen fehlen». Dennoch wolle die Fraktion den Verein nicht im Regen stehen lassen und anerkennt dessen Not. «Wir sind nicht gegen den Platz an sich».
Die vorberatende Kommission setzte mit ihrer einstimmigen Empfehlung, das Geschäft dem Stadtrat zur Überarbeitung zurückzuweisen, «ein starkes Zeichen», wie es auch Kilian Meier, Mitte, wertete. «Das gilt es so zu akzeptieren». Er sah die Sache jedoch dann nicht ganz so arg. «Der Antrag ist nicht schlechter als alle anderen», frotzelte er. «Spass beiseite! Ich konnte mir ein gutes Bild über die Situation verschaffen und anerkenne das dringende Bedürfnis des Vereins». Ähnlich sah es Stefan Eichenberger, FDP, der die Sache anders als der Grossteil seiner Fraktionskollegen beurteilte. «Als ich vor 14 Jahre Einsitz in dieses Parlament nahm, diskutierte es ähnlich wie heute eine Vorlage zur damaligen Sanierung bzw. Erweiterung des Sportzentrums. Das Parlament formulierte verschiedene Rückweisungen. Sie machten das Projekt nicht etwa günstiger oder einfacher, sondern verkomplizierten die gesamte Sache nur unnötig».
Die Rednerinnen- und Rednerliste schwoll auf rund 16 Voten an, bis im Saal förmlich spürbar war, dass jetzt zwar alle Bedenken ausgelegt sind, «die Luft» der Diskussion aber irgendwie entwichen ist.
ROTE KARTE: STADTRÄTLICHE EINSICHT
Schweigen bemächtigte sich des Saales als dann die zuvor kritisierte Stadträtin ans Rednerpult trat. «Wenn ich einen Fehler gemacht, den Antrag nicht sauber aufbereitet oder etwelche Informationen nicht wie gewünscht geliefert haben soll, dann tut mir das leid. Strafen Sie nicht den Fussballverein und dessen Mitglieder und die fussballbegeisterten Kinder und Jugendlichen, wenn Sie eigentlich mich bzw. den Stadtrat strafen wollen. Auch wenn der Antrag offensichtlich Mängel enthält, bin ich nun hier, um für diese Vorlage zu kämpfen. Ich werde nun versuchen, Sie umzustimmen - das ist meine Aufgabe», so Stadträtin Rosmarie Quadranti, Mitte. Was dann folgte, war eine bebilderte, nochmalige Darlegung aller Fakten und vermeintlich fehlenden Informationen, «die den Geschäftsunterlagen in Form eines Berichtes beigefügt waren».
Zeit für eine Beratungspause. Fraktionen und vorberatende Kommissionen zogen sich zur Beratschlagung zurück. Wer jetzt dachte, es käme an diesem Abend zu einer überraschenden Wende und das Geschäft doch noch zu einem positiven Abschluss, der irrt.
«Die nun im Rahmen dieser Sitzung erfolgte stadträtliche Darlegung der Fakten kommt im Empfinden der Rechnungsprüfungskommission einem Affront gleich», so Kommissionpräsident Thomas Hildebrand, FDP. «Diese Informationen hätten wir uns während der Vorberatungsphase gewünscht – nicht am Abend des Entscheides». Und trotz dieser roten Karte an die Adresse der Stadträtin, bot die Kommission Hand für einen Kompromiss – sozusagen eine Spielzeitverlängerung anstelle einer gelben Karte. «Wir stellen den Antrag, die Beratung des Geschäftes an dieser Stelle abzubrechen. An ihrer nächsten Sitzung im neuen Jahr wird die Kommission gerne mit Stadträtin Quadranti ein Gespräch darüber führen, wie wir in dieser Sache schnell zu einer Lösung gelangen, ohne dass die Vorlage in das längere Rückweisungsprozedere muss».
Und so kam es dann auch: Das Parlament stimmte diesem Vorschlag zu. Der formelle Rückweisungsantrag war damit vom Tisch. Das Parlament wird sich an einer noch unbestimmten Sitzung nochmals über dieses Geschäft unterhalten – dann, wenn es sich anhand genügender Informationen in der Verfassung dazu fühlt. «Zeitnah!», stellte Parlamentspräsident Simon Binder in Aussicht.
ALLE JAHRE WIEDER – DAS BUDGET
Drei Stunden an Beratungszeit waren damit bereits verstrichen – und das vermeintliche Hauptgeschäft des Abends war damit noch nicht einmal ansatzweise in Beratung gezogen worden: Die Genehmigung des Budgets 2025 samt Festsetzung des Steuerfusses.
Was hat das Illnau-Effretiker Parlament nur schon in den vergangenen 14 Jahren alles während Budgetdebatten zuvor erlebt. Nimmer endende wollende Streichkonzerte mit über 70 detailverhafteten Anträgen, Schlussabstimmungen morgens gegen 01.30 Uhr, bisweilen lustige, komische oder – Verzeihung - eher einschläfernde Voten. Berge von Zahlen, seitenweise Abhandlungen des Stadtrates, die durch die Rechnungsprüfungskommission mindestens so umfassend repliziert werden, Finanz- und Aufgabenplan, unzählige grafische Veranschaulichungen und Metaphern wie «süsses Gift», «Gürtel enger schnallen», und zuletzt «Skinny-Fit Jeans». Auch Kaffeetassen und Pizzen mussten schon Modell stehen, um zu erklären, wie sich Steuererhöhungen oder -reduktionen auf die Haushalte auswirken. Schön, dass der Kreativität trotz der vermeintlich staubtrockenen, aber doch sehr wichtigen Materie keine Grenzen gesetzt zu sein scheinen.
Dieses Jahr «fokussierte» die Debatte verhältnismässig in zügigen Schritten Richtung Steuerfussdebatte. Im Raum standen dazu drei Anträge: Der Stadtrat schlug vor, den aktuellen Steuerfuss von 110 % um 3 Prozentpunkte auf 113 % anzuheben. Eine Minderheit der 9-köpfigen Rechnungsprüfungskommission pflichtete diesem Ansinnen bei (2 Mitglieder), eine weitere Minderheit wollte den Steuerfuss auf dem jetzigen Niveau belassen (4 Mitglieder). Eine weitere Minderheit (3 Mitglieder) forderte eine Erhöhung auf 115 %.
Zuvor bereinigte das Parlament wenige Anträge, die teilweise bereits zuvor mit der Rechnungsprüfungskommission abgestimmt wurden. Nicht ohne dabei auch sachpolitische Diskussionen zu entflammen. «Irgendwelche Planungen für Asylunterbringungen sind nicht notwendig – wir wollen sie schlichtweg nicht», meinte etwa Daniel Huber, SVP. «Wir werden sämtliche politischen Mittel anstrengen, um dies zu verhindern», sekundierte Stefan Eichenberger, FDP.
«Es ist unglaublich, was die Minderheit die sich für eine Erhöhung des Steuerfuss ausspricht, im Kommissionbericht schreibt», meinte dieser weiter zur Haltung einer Minderheit. Sie hat verlautbart, dass eine Steuerfusserhöhung ohnehin und gerechtfertigterweise nur hohe Einkommen betreffen würde. «Es tut allen weh. Vor allem jenen, die diese Stadt finanzieren – an sie sollten wir besonders denken», gab Daniel Huber, SVP, zu verstehen. Kontroverse Haltungen im Halbrund des Parlamentes.
«Wenn die Stadt erneut ein Sparpaket durchzieht, sehe ich den sozialen Frieden in Gefahr», fürchtete Markus Annaheim, SP. «Die Bevölkerung merkt, wenn die Eintrittspreise im Sportzentrum oder die Gebühren in der Kindertagesstätte für die Kinderbetreuung steigen». «Der Steuerfuss spielt bei der Wohnsitzwahl nicht das Zünglein an der Waage. Die Attraktivität eines Ortes werde von anderen Faktoren bestimmt. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung nimmt aber dann zu, wenn Einzelmassnahmen ergriffen und einzelne Bevölkerungsgruppen oder Leistungen ‘bestraft’ würden. Eine Erhöhung des Steuerfusses wird gemeinhin besser vertragen», erklärte Arie Bruinink, Grüne, abstützend auf wissenschaftliche Untersuchungen.
Philipp Wespi, Stadtrat Ressort Finanzen, FDP, zeigte zuvor auf, dass eine Erhöhung des Steuerfusses unausweichlich scheint. «Wir sehen uns mit hohen Investitionen und dazu auch gleichzeitig mit steigenden Ausgaben konfrontiert. Wir können sie nur ungenügend selbst finanzieren - die Verschuldung steigt. Das gilt es aufzufangen».
«Bekommt eure Ausgaben und das Wachstum der Verwaltung in den Griff. Die Rechnungsprüfungskommission hat bewusst auf die Ansetzung von ’zig’ Streichungsanträgen verzichtet. Das zeige selten grossen Effekt. Das haben wir von der Vergangenheit gelernt. Der Stadtrat möge nun seine Leistungen und Aufgaben überprüfen», resümierte Kommissionspräsident Thomas Hildebrand, FDP.
Beim Abstimmungskrimi setzte sich der durch den Stadtrat beantragte Steuerfuss von 113 % knapp durch. Das bereinigte Budget wurde letzten Endes beinahe einstimmig angenommen.
«DAS IST NICHT LUSTIG»
Die Uhr zeigte 23.30 Uhr als Parlamentspräsident Simon Binder, SVP, auf die Tube drückte, und das Parlament zum Endspurt anspornte. «Die ordentliche Sitzungszeit wäre jetzt vorüber, wir machen jetzt aber einfach weiter, weil wir das müssen». Ob es jetzt der späten Stunde geschuldet war, dass er dabei einen «Bü-Bü-Bündnerfleisch-Moment» evozierte, bleibt ungeklärt. Jedenfalls sorgte das ansteckende Lachen für einen kurzen Moment der Erheiterung. «Das ist nicht lustig», versuchte sich Binder zu retten. Mit wenig Erfolg. Um 23.40 Uhr schloss der Parlamentspräsident die Sitzung, an der so gar keine weihnachtliche Stimmung aufkommen wollte. Muss es aber auch nicht.
Es war auch die letzte Sitzung von Hansjörg Germann, FDP. Er erklärte am Rande der Sitzung seinen Rücktritt per Ende Jahr und wurde offiziell aus seinem Amt verabschiedet.
2.
Geschäft-Nr. 2023/032
Postulat Alexander Salim, FDP, Simone Wegmann, Mitte, und Mitunterzeichnende, betreffend Aufwertung und Neugestaltung Tschuttiwiese Längg
Geschäft mittels Ordnungsantrag von der Traktandenliste abgesetzt.
3.
Geschäft-Nr. 2024/065
Interpellation Daniel Kachel, GLP, und Mitunterzeichnende, betreffend Hausärztemangel auf unserem Stadtgebiet
Geschäft infolge vorgerückter Stunde vertagt.
Der detaillierte Wortlaut der Anträge und Beschlüsse ist bei der Stadtverwaltung, Abteilung Präsidiales, 4. OG, Stadthaus, Märtplatz 29, Effretikon oder online unter www.ilef.ch/geschaefte einsehbar.
Die Beschlüsse unter Ziffer A.1 und A.2 unterstehen dem fakultativen Referendum.
Gegen die Beschlüsse unter Ziffer A.3 und B.1 ist das Referendum ausgeschlossen.
Das Begehren um Anordnung einer Urnenabstimmung über die Beschlüsse kann gestützt auf § 157 Abs. 3 lit. a des Gesetzes über die politischen Rechte (GPR) i.V.m. Art. 15 Ziff. 2 Gemeindeordnung von 300 Stimmberechtigten innert 60 Tagen gerechnet ab dem Tag nach der Veröffentlichung oder gestützt auf § 157 Abs. 3 lit. b GPR von einem Drittel der Mitglieder des Stadtparlamentes innert 14 Tagen gerechnet ab dem Tag nach der Beschlussfassung schriftlich beim Stadtrat eingereicht werden.